Ich stehe in der Mitte meines Berufslebens und staune immer wieder, wenn ich mit Mitt-Zwanzigern zusammenarbeite. Denn manche meiner jüngeren Kollegen kommen direkt von der Uni oder haben erst wenig Berufserfahrung. Trotzdem ist ihr technisches Wissen auf einem sehr hohen Stand. Da kann mir schon mal der Gedanke kommen: „Und mit denen konkurriere ich jetzt?!“
Bei näherem Betrachten entspanne ich mich wieder schnell. Und das liegt an mehreren wichtigen Einsichten:
Die jeweils jüngste Generation an Entwicklern kennt sich hervorragend mit der gerade aktuellen Technologie aus.
Das ist kein Wunder. Wenn man lernt, Software zu entwickeln, nimmt man natürlich die gerade angesagte Technologie, die am meisten Spaß verspricht. Mir ging es vor zwanzig Jahren nicht anders, als ich mit meinen Java-Kenntnissen der ersten Stunde brillieren konnte.
Ich hatte schon fast vergessen, wie das damals war: Um mich herum programmierten die meisten in C++ und hatten Probleme (wie Core Dumps und Speicherfreigaben), die ich hinter mich gelassen hatte. Java war cool und Applets waren viel besser als Javascript-Banner auf der Homepage.
Heute muss ich mich zwar in jede neue Technologie einarbeiten und den Vorsprung der „Neuen“ aufholen. Aber Technologien ändern sich schnell und Wissen veraltet ebenso schnell.
Zugegeben, manchmal muss ich mich erst aufraffen und recherchieren, welche Neuheiten es gibt. Und es kostet so manchen freien Abend, mich in neue Technologien einzuarbeiten.
Aber manchmal ist es gar nicht so schlecht, die ein oder andere Neuheit einfach auszulassen. Denn bevor man sie nutzen könnte, ist sie auch schon wieder überholt. AngularJS war für mich beispielsweise so eine Neuheit, die ich mit gutem Gewissen ausgelassen habe. Und heute entwickle ich UIs mit dem Nachfolger Angular.
Daher steht jede neue Entwickler-Generation schon nach wenigen Jahren vor demselben Problem.
Egal, in welche Technologiennische man schaut: In wenigen Jahren ändert sich überall so viel, dass das einmal erworbene Wissen schnell veraltet. Das betrifft die Jungen genauso wie die schon Erfahreneren.
Der Wettbewerbsvorteil der jeweils jüngsten Generation besteht für diese Generation nur für deren ersten Jahre im Beruf. Dann werden die Karten für alle Entwickler neu gemischt.
Die jeweils jüngste Generation hat also vielleicht die ersten drei, vier Jahre einen gewissen Vorteil gegenüber den älteren Generationen. Aber danach kommt ja schon wieder die nächste neue Generation mit der nächsten neuen Technologie.
Mein großer Vorteil durch meine Berufserfahrung ist, dass ich mich schon in viele neue Technologien eingearbeitet habe.
Ich weiß, wie ich mir neues Wissen schnell und effizient aneigne. Und ich erkenne schnell, welche Konzepte einer neuen Technologie wirklich neu sind und welche nur Abwandlungen von Bekanntem sind.
Wie sagte einmal vor Jahren ein Bekannter: Man muss als Software-Entwickler eigentlich nur drei Konzepte verstehen: Persistenz, Transaktionen und verteilte Systeme. Alles, was er in den vorangegangenen Jahrzehnten als Architekturkonzepten gesehen hatte, konnte er mit seinem tiefgehenden Grundlagenwissen zu diesen Themen problemlos durchdringen und aufnehmen.
Daher gibt es auch für mich keinen großen Grund zur Sorge. Wohl aber muss ich sorgfältig abwägen, auf welches Pferd ich für die jeweils mittelnahe Zukunft setze. Ich kann mich nicht in alle neuen Technologien einarbeiten. Vielmehr muss ich Entscheidungen treffen, mit denen ich für die jeweils folgenden Jahre gute Aussichten auf Projekte habe. Ein wenig Glück ist natürlich dabei. Denn dass ich mit Java-Kenntnissen heute immer noch so gut aufgestellt bin, hätte ich mir 1996 bei meinen ersten Klassen mit Java 1.0.1 nicht vorstellen können.
All die Jahre hat es sich jedenfalls gut bewährt, in engem Kontakt zu den Entwicklern der jeweils jüngsten Generation zu stehen und zu begreifen, mit welchen Tools und Technologien sie arbeiten. Das, was sich unter ihnen durchsetzt, hat beste Aussichten, der Standard der kommenden Jahre zu sein.
Bis halt die nächste Generation kommt…
1 Gedanke zu „„Lebenslanges Lernen“ – was bedeutet das für einen IT-Freiberufler?“